"Den Wald, so wie er aktuell besteht,
wird es zukünftig nicht mehr geben"

Ein Interview mit unserem Kunden ForstBW

Seit Beginn der Corona Pandemie ist der Waldspaziergang zur neuen Volkssportart geworden. Laut Studien des European Forest Institute (EFI)* haben sich die Besucherzahlen in heimischen Waldgebieten mehr als verdoppelt. Im Gegensatz zur Gastronomie und dem lokalen Handel hat der Wald rund um die Uhr geöffnet! Als Ruhe- und Erholungsort suchen Menschen vor allem jetzt in Krisenzeiten einen Rückzugsort vor den Belastungen der Pandemie. Doch wer rettet eigentlich den Wald vor den Belastungen des Klimawandels?

Während der Dreharbeiten für den Dokumentar- und Imagefilm für ForstBW erhielten wir in den Gesprächen mit den Forstmitarbeitern einen tiefgreifenden Einblick in das Ökosystem Wald. Gemeinsam mit Waldexperte Christoph Weihrauch von ForstBW hat sich die GETPIONEERS GmbH auf Spurensuche begeben und Erstaunliches festgestellt.


GETPIONEERS (GP): Extreme Wetterlagen wie Dürreperioden oder Stürme begünstigen das Waldsterben. Konkret gefragt: Gibt es bald keine Wälder mehr in Deutschland?

Christoph Weihrauch (Weihrauch): Wenn wir uns die Entwicklung der Jahrhunderte anschauen, dann sehen wir, dass sich die Wälder schon immer verändert haben. Vor den Eiszeiten und nach der letzten Eiszeit vor etwa 14000 Jahren passte sich der Wald an die Umstände des jeweiligen Klimas an. Der Wald wird auch künftig existieren, allerdings stellt sich die Frage in welcher Form. Die Geschwindigkeit mit welcher das Klima sich jetzt verändert ist neu. Es überfordert vielfach die Anpassungsfähigkeit unserer Baumarten. Der Wald leidet und besitzt nicht die Kraft, sich in seiner jetztigen Form zu erhalten. Aus diesem Grund ist es wichtig, den Wald in seinem natürlichen Entwicklungsverhalten zu unterstützen und für den Klimawandel zu stärken.

GP: Wie bereiten Sie den Wald auf die Bedingungen des Klimawandels vor?

Weihrauch: Eine große Aufgabe von ForstBW ist der Umbau der Wälder zu einem zukunfts- und widerstandsfähigen Waldbild. Bis in die Nachkriegszeit brauchte man schnell wachsende Baumarten wie die Kiefer, um die komplett zerstörten Wälder wieder aufzuforsten. Heute benötigen wir einen vielseitigen und strukturreichen Mischwald. Seit 1990 sind wir dabei, die heimischen Wälder umzugestalten. Es hat sich gezeigt, dass vor allem Eichenwälder mit dem Klimawandel gut zurechtkommen und die wenigsten Schäden aufzeigen. Insbesondere die Traubeneiche kann lange Phasen ohne Wasser auskommen, indem sie ihre Wurzeln bis tief in die Erde zieht und so an das Grundwasser gelangt. Diese Baumart ist gut gewappnet gegen das wärmere Klima. Andere Baumarten haben diesen Vorteil nicht und leiden sehr an Trockenheit. Massiv betroffen sind vor allem Kiefer und Buche.

GP: Was könnte der Wiederbewaldung im Weg stehen oder sogar problematisch sein?

Weihrauch: Vor allem in den Hardtwäldern haben wir Schwierigkeiten mit Baumarten, die der natürlichen Waldverjüngung zu schaffen machen. Dabei können wir vorwiegend zwei Pflanzenarten benennen: Zum einen die Amerikanische Kermesbeere und die Spätblühende Traubenkirsche. Die beiden Pflanzenarten definieren sich als sogenannte invasive Neophyten, also Pflanzen welche durch menschlichen Einfluss in die Region gebracht wurden. Diese Beiden wurden aus Nordamerika eingeschleppt und besetzen seither als fester Bestandteil der Fauna eine Nische, die es vorher nicht gab. Grundlegend freuen wir uns über eine Biodiversität und eine Unterschiedlichkeit von Pflanzenarten. Doch das Problem ist die Invasivität dieser Arten: Durch deren Ansiedlung wird eine natürliche Verjüngung verhindert. Heimische Arten treten in Konkurrenz und werden verdrängt. Dies kann nicht in unserem Sinne sein und dieser Herausforderung müssen wir uns stellen. Der ganze Boden ist durchsetzt mit dem Samen der Kermesbeere. Ausreißen ist dabei keine Option, weil der Boden weiterhin von den Samen belastet wäre. Mit dem nächsten Sonnenstrahl würde die Pflanze erneut wachsen und gedeihen.

GP: Wie eingangs schon erwähnt, gab es zuletzt einen großen Zuwachs an Waldbesuchern - 140 Prozent mehr Waldbesucher, um eine genaue Zahl zu benennen. Ist das ein Fluch oder Segen für den Wald?


Weihrauch: Das neue Bewusstsein für den Wald ist definitiv positiv. Als Rückzugsort erhält der Wald in der jetzigen Situation eine ganz andere Aufmerksamkeit. Unser Anliegen war es stets, das Ökosystem in seiner Vielfalt, aber auch in seinem Leiden in den Fokus zu setzen. Daher ist der Zuwachs an Waldbesucherzahlen eine Art Segen. Dennoch bleiben Konfliktpotenziale nicht aus. Eine Freizeitkartierung kam zu dem Ergebnis, dass es die Waldbesucher selbst sind, welche sich gegenseitig stören. So beschweren sich wechselseitig Radfahrer und Fußgänger über den jeweils anderen. Hinzu kommen Förster, Jäger und die Waldbewirtschaftung, die mit Ihren Interessen im Wald berufsbedingt arbeiten. Auf unserer Homepage ForstBW gibt es einen Wald Knigge. Darin ist erklärt wie man sich im Wald am besten verhalten soll.

GP: Wo Sie es gerade angesprochen haben: Was können wir als Menschen beitragen sowohl den Wald als auch das Klima zu unterstützen?

Weihrauch: In erster Linie braucht es das Bewusstsein für den Klimawandel und dessen Auswirkungen. Erst mit dem Wissen für die Zusammenhänge von Ursache und Konsequenz kann ein Umdenken und ein Handeln stattfinden. Dazu muss jeder Einzelne Verantwortung übernehmen für das eigene Konsumverhalten. Ein wichtiger Faktor ist beispielsweise die Verwendung von Holzprodukten. Holz ist nichts anderes als gebündeltes Kohlenstoffdioxid (CO2) und somit ein wertvoller Unterstützer in der Verringerung von Treibhausgasemissionen. Das Holzprodukt besitzt demnach eine bessere Klimabilanz im Vergleich zu Beton oder Stahl, dessen Herstellung extrem energieintensiv ist. Auch bei der Holzverwendung geht es aber um eine nachhaltige und ressourcenschonende Nutzung. Ein weiterer Aspekt bezieht sich auf die geringe Zeitspanne, in welcher ein Baum verwertet werden kann. Denn stirbt ein Baum ab, so entweicht das gebundene CO2 in die Luft und das Holz ist für die Weiterverarbeitung nicht mehr nutzbar. Um das zu vermeiden, nutzen wir Forstleute das enge Zeitfenster zwischen Absterbeerscheinungen und der Entwertung des Holzes, sodass noch eine Verwendung zu erreichen ist. Doch aufgrund der schwerwiegenden Klimaschäden ist der Verfall der Bäume gestiegen, welchem wir mit Nachdruck versuchen gegenzuwirken.

GP: Das heißt der Wald ist sowohl Opfer als auch Klimaschützer zugleich?


Weihrauch: Das ist richtig. Der Wald nimmt große Mengen an CO2 auf und speichert dieses im Holz. 14 Prozent der Treibhausgasemissionen werden von Deutschlands Wäldern aufgenommen, was den CO2-Gesamtwert verringert. Der Wald ist vielmehr als die Summe seiner Bäume. Es gibt viele Wechselbeziehungen zwischen Bäumen, Pflanzen, Moosen, Flechten und Pilzen. Auch zwischen den Tieren herrschen Verbindungen. Man kann daher den Lebensraum Wald als ein großes Netzwerk sehen, dessen kleinste Bestandteile in das Geflecht integriert sind. Wird demnach an einer Stelle etwas verändert oder gar herausgenommen, so verändert sich in der Konsequenz die Situation an anderer Stelle. Der Klimawandel bestärkt solche Veränderungen. So haben die Waldschäden durch die Dürresommer der letzten 3 Jahre einen neuen Höhepunkt erreicht, worauf die bestehenden Baumarten nicht vorbereitet sind. Die Lebensdauer und die Holzvorräte können sich mit dem Klimawandel drastisch verringern. Ein geschwächter Wald kann nicht die Klimaschutzleistung wie ein intakter, gesunder Wald aufbringen. Nur wenn der klimaangepasste Waldumbau gelingt, kann der Wald sein Potential als Klimaschützer voll ausspielen.

GP: Sie sprachen von einer Wechselbeziehung zwischen Tieren und Wald. Leidet das Tierreich unter den sich verändernden Bedingungen?

Weihrauch: Ich würde eher von einer Verschiebung sprechen. Die Tierarten wandern von Süden nach Norden, d.h. wir werden in Zukunft wahrscheinlich mehr Insektenarten haben, die es ursprünglich im südlichen Teil Europas gab. Erst vor kurzem ist erstmals der Goldschakal in Bruchsal aufgetaucht. Dieses Tier ist eine mit dem Wolf verwandte Hundeart, welche bislang nur in Südosteuropa heimisch war. Aufgrund der Klimaveränderung in der Region hat diese hier einen neuen Lebensraum gefunden. Zusammengefasst: Neues Klima bedingt neue Pflanzenarten und zieht damit neue Tierarten an. Vor allem für lichtliebende Arten, welche sich unter einem durchlässigen Kronenschutz wohlfühlen, gibt es jetzt mehr Lebensräume. Vielen ist beispielsweise der Ginster ein Begriff. Diese Pflanze geht erfolgreich aus der Krisensituation hervor. Verschiedenste Schmetterlingsarten nennen den Ginster ihr Zuhause und kommen nur dort vor, wo der Ginster vorkommt. Als Folge des Klimawandels werden die Wälder lichter und begünstigen die Verbreitung des licht- und wärmeliebenden Ginsters. Es zeigt sich auch hier deutlich, wie das gesamte Ökosystem miteinander zusammenhängt. Eine eindeutige Bewertung, ob der Klimawandel im Ergebnis gut oder schlecht für die Tier- und Pflanzenarten ist, ist zum heutigen Zeitpunkt nicht sicher durchführbar. Eines ist aber zu erwarten: Der Wald wird gezwungen Anpassungsprozesse zu durchlaufen, die schmerzvoll und für den Menschen fühlbar sind.

GP: Ein Anliegen von Ihnen ist es, das Wissen und Bewusstsein für den Klimawandel und die Auswirkung auf den Wald zu vermitteln. Wie gehen Sie da vor?

Weihrauch: Wir sind der Meinung, dass ein Bewusstsein für unsere Umwelt schon früh gesetzt werden muss. Daher bieten wir Veranstaltungen an, in denen ausgebildete Waldpädagogen Menschen jeglicher Altersgruppe das Ökosystem Wald in all seinen Facetten näherbringen. Das Angebot ist kostenlos und richtet sich insbesondere an Kinder und Schüler:innen. Wir setzen den Fokus gezielt auf die nächste Generation und hoffen, dass mit ihr auch ein neues Bewusstsein von Anfang an heranwächst. Wir gehen aktiv auf die Schulen zu und bieten Ausflüge und Workshops an. Es ist wichtig, dass wir miteinander sprechen und transparent machen, was unsere tägliche Arbeit im Wald bezweckt. Auch die Zusammenhänge der Holznutzung erklären wir in den Workshops. Das Paradoxe an der Situation ist, dass viele Menschen es schlimm finden einen Baum zu fällen, doch werden gleichzeitig Holzprodukte wie Schreibtische benötigt und alle finden es toll. Das ist ein Widerspruch in sich. Diesen Widerspruch wollen wir auflösen. Der Wald ist ein großartiger Bildungsort, von dem man viel lernen kann.

GP: Zum Schluss unseres Interviews nochmal zusammengefasst: Warum ist das Thema Wald so wichtig für uns?

Weihrauch: Den Wald, so wie er aktuell besteht, wird es in Zukunft nicht mehr geben. Das Ökosystem als auch das Waldbild werden sich in den nächsten Jahrzehnten aufgrund anderer Rahmenbedingungen massiv verändern. Schon jetzt können wir die rasende und plötzliche Entwicklung des Waldes beobachten, was zu Sorgen in der Gesellschaft führt. Aktivisten:innen wie die von der Fridays-for-Future Bewegung zeigen, dass sich etwas verändern muss und jenes geht nur gemeinsam in einem Zusammenspiel aus Ökologie, Ökonomie und Soziales. Die Frage stellt sich, inwieweit Menschen den Klimawandel und dessen Auswirkungen auf die nächste Generation für sich selbst priorisieren. Im Vordergrund steht für Förster:innen das Vertrauen für unsere Arbeit in der Gesellschaft zu wecken. Veränderungen sind möglich, wenn wir alle an einem Strang ziehen.

GP: Schauen Sie optimistisch in die Zukunft, was das Zusammenleben zwischen Wald und Mensch angeht?

Weihrauch: Ich würde eher von einer Hoffnung sprechen, dass sich in Zukunft ein Bewusstsein für das Ökosystem Wald bei den Menschen verstärkt ausbildet. Wir als Forstmenschen können den Klimawandel nicht alleine aufhalten. Jeder Einzelne von uns kann etwas tun, indem er klimaschonende Konsumentscheidungen trifft oder auch Druck auf die Politik für mehr Klimaschutz ausübt. Geht es dem Wald schlecht, kann er manche Leistung nicht mehr erbringen. Waldschutz ist Klimaschutz und Klimaschutz ist Waldschutz. Ich bin hoffnungsvoll, aber wir müssen uns anstrengen. Für den Wald. Für das Klima. Und für die nächste Generation.

Herr Weihrauch, vielen Dank für das nette und informative Gespräch!


*Quelle:
https://resilience-blog.com/2020/05/15/faktor-24-corona-lasst-menschen-in-den-wald-stromen/


Autor/in: Kathleen Entz

zurück
Der direkte Draht zu uns:
+49 7253 92122-0

Oder per E-Brief:
info@getpioneers.com